Wolfgang Jordan
KLEINES WERKZEUGMUSEUM

Die Holzwerkzeugfabriken in Wien

Fabrik Wertheim, Wien (1867)

Einleitung

Der Standort Wien spielt in der Geschichte der Holzwerkzeugfabriken eine besondere Rolle, weil hier gleich mehrere Fabriken entstanden, die die Frühzeit der industriellen Herstellung von Holzwerkzeugen in besonderem Maße geprägt haben. Hinzu kommt, daß die einzelnen Fabriken durch Besitzerwechsel und Übernahmen miteinander verknüpft waren. Den stabilen Stamm dieser Verzweigungen bildet dabei die Firma Joh. Weiss & Sohn.

In diesem Zusammenhang wichtig ist auch der Ort Neustift bei Scheibbs in Niederösterreich, wo es aufgrund der örtlichen Gegebenheiten (Wasserkraft und Rohstoffe) eine ähnliche Konzentration von Produktionsstätten für Holzwerkzeuge gegeben hat. Diese Fabriken waren teilweise mit denen in Wien verbunden. Sie sind auf einer eigenen Seite beschrieben.

Joh. Weiss & Sohn

Nach eigenen Angaben wurde die Firma Johann Weiss & Sohn im Jahre 1820 gegründet. Worin genau diese Gründung bestand und welchen Umfang die Produktion in dieser Zeit hatte, ist bisher nicht bekannt. In zwei Patentschriften 10) wird neben dem "Tischlermeister und Werkzeug-Fabrikanten" Johann Weiß auch dessen Sohn Vincenz ("practischer Geometer" bzw. "Techniker") genannt. Die Adresse der beiden Patentinhaber ist mit "Laimgrube Nr. 87" angegeben. Eine Anzeige der Firma in einer Münchner Zeitung von 1842 (siehe auf dieser Seite) nennt ebenfalls diese Adresse für "Niederlage und Fabrik". Die Firma Josef Herrmann in Neustift unterhielt an dieser Adresse auch ihre Wiener Niederlage, wie in einem Bericht über die dritte allgemeine österreichische Gewerbe-Ausstellung 1845 in Wien bemerkt wird.

Grundriss Fabrik Joh. Weiss, Wien (1904) Das Gebäude mit der Nummer Laimgrube Nr. 87 gehörte zur damaligen Gärtnergasse. Die heutige Adresse des Anwesens ist "Stiegengasse 3" im 6. Wiener Bezirk Mariahilf. Dieser Ausschnitt aus dem Wiener Stadtplan von 1904 15) zeigt den Grundriss. Man erkennt, daß die Fassade dieses und der Nachbarhäuser über die Bebauungsgrenze hinausgeht. An dieser Stelle steht heute ein sehr alt wirkendes Haus, in dem sich eine Spezialschlosserei befindet (Ansicht des Gebäudes auf der Homepage der Firma Beran). Ich vermute, daß es sich dabei um das ursprüngliche Fabrikgebäude von Johann Weiss handelt.

Johanns zweiter Sohn Johann Baptist trat 1847 in die Firma seines Vaters ein und errichtete 1854 ein neues Fabrikgebäude im Wiener Ortsteil Wieden, Nr. 667 und 1066. Dieses Grundstück lag an der Ecke Alte Wiedener Hauptstrasse (heute Margarethenstraße 65 im 5. Bezirk Margarethen) und Straußengasse. Ein Kupferstich der Fabrik im ersten Katalog der Firma Weiss 1) zeigt die Ansicht von Norden mit dem Fabrikgebäude in der Straußengasse links und einem Wohn- und Verwaltungsgebäude an der Hauptstrasse rechts.

Fabrik Weiss & Sohn, Wien (1861)

1872 wurde eine zweite Fabrik gebaut. Im "Biographischen Lexikon des Kaisertums Österreich" 2) wird die Adresse mit Margarethenstrasse 56 angegeben. Diese Adresse ist mit Sicherheit falsch, denn das Haus an dieser Stelle wurde 1863 als Wohnhaus gebaut und existiert bis heute.

In einem Preis-Courant von 1882 sind zwei Standorte abgebildet 3). Die erste Abbildung zeigt das 1854 gebaute Fabrik- und Verwaltungsgebäude. Im anderen Stich ist die "Dampfsäge in Wien" zu sehen. Der Standort dieser Anlage ist nicht bekannt.

Fabrik Weiss & Sohn, Wien (1882) Dampfsäge Weiss & Sohn, Wien (1882)
Grundriss Fabrik Joh. Weiss, Wien (1904) Der Ausschnitt aus dem Wiener Stadtplan von 1904 15) zeigt den Grundriss des Fabrikgebäudes an der Ecke der Margarethenstraße und der Straußengasse mit der Jahreszahl 1853. Die parallel zur Margarethenstraße verlaufende Zeuggasse war zum Zeitpunkt des Baus der Fabrik namenlos (bzw. Blumengasse) und wurde 1862 nach der Werkzeugfabrik benannt.

Im Jahre 1911 übernahm die Firma Weiss die Anlagen der Firma D.Flir, vormals Franz Wertheim in Wien (siehe unten bei Wertheim) und Neustift bei Scheibbs in Niederösterreich 11) (siehe die Seite über die Fabriken in Neustift). Etwa zur gleichen Zeit (1912) wurde in der Griessergasse im 12. Wiener Bezirk Meidling ein neues Fabrikgebäude errichtet. Die Zentrale befand sich weiterhin in der Margarethenstraße 65.

Die Fabrikgebäude der Firma Joh. Weiss sind in verschiedenen Katalogen abgebildet, z. B. im "Musterbuch E 1925" 4). Der Stich unten zeigt das Werk in Meidling (Ansicht von Süden) mit der Donauländebahn im Vordergrund.

Im zweiten Weltkrieg wurde das Werk von mehreren Bomben getroffen. 1945 richtete ein Feuer großen Schaden an 11). Photos aus der Nachkriegszeit zeigen ein Hauptgebäude, das nur noch zur Oswaldgasse hin seine ursprüngliche Höhe besitzt. Der Hauptteil wurde um ein Geschoß reduziert und das Gebäude in diesem Bereich mit einem Satteldach versehen. Vermutlich ist dieser Umbau auf die Beschädigungen im Krieg zurückzuführen. Nach dem Krieg wurden in der Meidlinger Fabrik neben einer reduzierten Palette von Werkzeugen Schulmöbel und später auch Küchenmöbel hergestellt. Die Fabrik stand bis in die achtziger Jahre und wurde dann abgerissen.

Fabrik Weiss & Sohn, Wien (1925)
Grundriss Fabrik Joh. Weiss, Wien (1904) Auf dem Wiener Stadtplan von 1912 15) (auf dem Hintergrund des aktuellen Stadtplans) ist das Hauptgebäude der Fabrik zu erkennen (schwarz markiert). Das Wohnhaus Oswaldgasse 31 am linken Rand (siehe auch den Stich der Fabrik) steht heute noch. Die Fabrikgebäude existieren nicht mehr. Das Gelände wird jetzt durchquert von der sogenannten Oswaldschleife der Donauländebahn. Das restliche Gelände liegt brach; eine Zufahrtsrampe überquert von da aus die Donauländebahn und führt zu einem Parkdeck in der neuen Kabelwerk-Siedlung. Reste der Grundmauern der Fabrik sind auf Luftaufnahmen noch zu erkennen 16).

Franz & Anton Gruber

Von Anton Gruber selbst stammt die Aussage, daß sein Vater Franz Gruber die erste österreichische Werkzeugfabrik in Wien gegründet habe. Vermutlich wurden dort zunächst nur Hobeleisen und andere eiserne Werkzeuge hergestellt, das würde den gleichlautenden Anspruch der Firma Weiss erklären. Die Adresse wird in allen Quellen mit "Wieden Nr. 55" angegeben (erste Erwähnung mit Franz Gruber 1816 5)). Dieses Gebäude stand an der Unteren Alleegasse 10 (heute: Argentinierstraße im 4. Wiener Bezirk Wieden). Die gegenüber in die Alleegasse einmündende Gusshausstrasse wurde später (um 1895) durch dieses Grundstück hindurch verlängert.

Eine Quelle 14)) bestätigt, daß es sich bei diesem Haus um die Fabrik Grubers handelte und auch das Warenlager hier untergebracht war. Eine Abbildung des Fabrikgebäudes ist nicht bekannt.

Für Anton Gruber findet man in den Quellen 5)) eine zweite Adresse (1840-1843) in der Floragasse 4 in der Nähe der Alleegasse.

In Neustift bei Scheibbs besaß Anton Gruber eine zweite Fabrik, den Gstettenhammer am Ginselberg (siehe die Seite über die Fabriken in Neustift).

In einer Anzeige von 1842 der Firma Weiss & Sohn wird erwähnt, daß das Geschäft des Anton Gruber nach dessen Tod aufgelöst wurde. Vermutlich bezieht sich das nur auf die Wiener Fabrik, denn die Fabrik in Neustift wurde von Franz Wertheim aufgekauft und weiterbetrieben.

Lage der Fabrik Gruber, Wien (1830) Auf einem Wiener Stadtplan von 1830 6) ist die Fabrik Grubers in der Alleegasse Nr. 55 (gegenüber der Einmündung einer Gasse) zu erkennen. Das Gebäude wurde später (um 1895) abgerissen, dort verläuft heute die Gußhausstraße.

Franz Wertheim

Nach Anton Grubers Tod in 1842 wurden seine Fabriken in Wien und Scheibbs von Franz Wertheim erworben. Vermutlich wurden in Neustift Hobeleisen und Beitel produziert und in Wien z. B. Hobel und andere Holzwerkzeuge. Wertheims Adresse wurde bis ca. 1868 mit "Wieden Nr.348" angegeben. Dieses Haus stand an der Ecke Wiedener Hauptstraße (Nr. 51) und Schlüsselgasse (Nr. 1) und wurde von 1842 ab von dem "Cigaretten- und Buntpapierfabrikanten" Wilhelm Knepper bewohnt. Wertheim war von 1847 bis 1851 Kneppers Kompagnon und auch dessen Schwiegersohn.

1852 gründete Franz Wertheim zusammen mit Friedrich Wiese eine Kassenfabrik und produzierte seine Tresore in einer ehemaligen Erdberger Kerzenfabrik. Mit zunehmendem Erfolg der Tresore Wertheims wurde der Standort in Erdberg zu klein. Deshalb entstand 1858 an der Wiedener Belvederegasse eine neue Fabrik (der sog. "Wertheim-Hof"), in der die Produktion von Werkzeugen, Tresoren und den Erzeugnissen der Papierfabrik zusammengefaßt wurde 8). 1863 wurde diese Fabrik etwa auf die doppelte Fläche erweitert, 1872 kamen weitere Gebäude hinzu. Die Grundfläche aller Bauten dieser Fabrik betrug 3000 Quadratklafter (ca. 10.000 Quadratmeter) 7).

Die Ansicht unten zeigt den ersten Teil der Fabrik. Die Abbildung stammt aus einem Bericht Wertheims über die "Classe XXXII. Stahl- und Messerschmiedwaaren, Werkzeuge" auf der Weltausstellung in London 1862 12). Die Ansicht der Fabrik im Kopf dieser Seite stammt von der Lithographie eines Ausstellungsstandes von Wertheim auf der Weltausstellung in Paris 1867 13).

Fabrik Wertheim, Wien (1863)
Grundriss Fabrik Wertheim, Wien (1904) Auf dem Wiener Stadtplan von 1904 15) ist die Wertheim-Fabrik sogar entsprechend gekennzeichnet. Der gesamte rechte Teil des Gevierts wurde im Laufe der Jahre von der Fabrik eingenommen. Man erkennt unten die 1858 gebaute u-förmige Fabrik mit dem Vorbau in der Mitte. Die anderen Teile des Werkes sind mit den entsprechenden Jahreszahlen gekennzeichnet. Der Platz des ersten Fabrikgebäudes wird heute von einem Hochhaus eingenommen.
Lage der Wiener Werkzeugfabriken (1904) Die Fabriken in den alten Stadtteilen Laimgrube und Wieden sind auf dieser Karte von 1904 15) eingezeichnet. Nicht enthalten ist das große Werk von Joh. Weiss & Sohn in Meidling, dessen Standort südöstlich dieses Kartenausschnitts liegt.

Quellen und Referenzen

1) Atlas österreichischer Werkzeuge für Holzarbeiter, Wien, 1. August 1861
2) Biographisches Lexikon des Kaisertums Österreich
(Vierundfünfzigster Teil, 1886, Seite 110-111)
3) Preis-Courant aller Sorten Werkzeuge für Holzarbeiter etc., Wien, 1. Juni 1882
4) Musterbuch E 1925, Wien, 1925
5) Die Wieden mit den Edelsitzen Conradswerd, Mühlfeld, Schaumburgerhof und dem Freigrunde Hungerbrunn, Wien, 1864
[Google Buchsuche]
6) Carl Graf Vasquez, Pläne der Wiener Polizeibezirke, nach 1830
[Webservice der Stadt Wien]
Ein Zusammenschnitt dieser Karte steht in Wikipedia:
https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Wien_1830_Vasquez_Wieden_crop.jpg
7) Alt und neu - Wien in seinen Bauwerken, redigirt von Karl Weiss, Wien, 1865
[Google Buchsuche]
8) 150 Jahre Wertheim - Die Wertheim Firmengeschichte, Wien, 2002
9) Fine Tool Journal (Heft 52, Herbst 2002, https://www.finetooljournal.net/)
10) Sammlung der Gesetze für das Erzherzogthum Oesterreich unter der Enns,
Fünf und zwanzigster Theil. Jahr 1843, Wien 1845, Seite 561 und
Sechs und zwanzigster Theil. Jahr 1844, Wien 1846, Seite 482
[Google Buchsuche]
11) Ein Abriss der Geschichte der Firma Weiss ist zu finden in dem Nachdruck eines Kataloges von 1909 (Details). Der Originaltext steht hier.
12) Classe XXXII, Stahl- und Messerschmiedwaaren, Werkzeuge. Bericht von Franz Ritter von Wertheim, Jury dieser Classe.
In "Österreichischer Bericht über die Internationale Ausstellung in London 1862"
Wien, 1863
[Google Buchsuche]
13) Franz R. v. Wertheim
Werkzeugkunde zum Gebrauche für technische Lehranstalten, Eisenbahnen, Schiffbau u. Industrie Gewerbe, als Tischler, Drechsler, Fassbinder, Wagner, Zimmerleute, Modelleure & Mechaniker
Wien, 1869
14) Gemeinnütziger und erheiternder Haus-Kalender für das österreichische Kaiserthum
Wien, Ausgabejahr unbekannt (zwischen 1827 und 1841)
[Google Buchsuche]
15) Historische Stadtpläne der Stadt Wien
[Stadtplan Kulturgut]
16) Luftaufnahmen auf Bing Maps

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